Ernährung: weniger Bedarf bei gestiegener Aktivität

Menschen werden schwerer. Dieser Trend ist seit mindestens dreißig Jahren stabil in allen Weltregionen zu sehen, auch wenn er in manchen Gegenden bereits abflaut. Eine Gewichtszunahme bedeutet, dass mehr Energie aufgenommen als verbraucht wird.

Obwohl wir heute mehr essen als vor dreißig oder hundert Jahren ist dies nicht die einzige Ursache. Tatsächlich hat sich auch der Verbrauch verringert. Aber nicht, weil wir weniger aktiv sind sondern weil der Grundbedarf gesunken ist. Also die Energie, die für den reinen Lebenserhalt nötig ist.

Gesunkener Bedarf bei Tausenden ProbandInnen

Diesen Schluss ziehen achtzig internationale ForscherInnen, nachdem sie eine Vielzahl von Quellen ausgewertet haben. Aus diesen sammelten sie Daten zum Energieverbrauch Tausender ProbandInnen. Und dieser ist konsequent gesunken. Allerdings in erster Linie der Gesamtverbrauch und dieser nimmt auch ab, wenn wir einfach weniger aktiv sind.

Nur von einem Teil der ProbandInnen gibt es auch Angaben zum Grundverbrauch, da dieser in der Regel mit anderen Methoden gemessen wird. Bei diesen Daten zeigt sich aber die eigentliche Überraschung: Verantwortlich für den gesunkenen Gesamtverbrauch ist ein kleinerer Grundverbrauch. Und wie uns einer der AutorInnen – John Speakman – schreibt, „Der Verbrauch durch Aktivität geht, wenn überhaupt, nach oben. Wahrscheinlich weil die Freizeitaktivität zugenommen hat, während die Arbeit immer weniger fordernd geworden ist.“

Grundlegende Körperfunktionen sind zum Beispiel die Regulierung der Körpertemperatur, die Verdauung oder die Immunabwehr. Dafür benötigen unsere Körper heute etwa 80 Kilokalorien pro Tag weniger als noch vor Hundert Jahren. So viel Energie steckt in einem mittelgroßen Apfel. Und wie kann es sein, dass sich etwas so zentrales wie der energetische Grundbedarf so schnell ändert?

Was hat sich geändert?

Verschiedene Möglichkeiten stehen zur Debatte: veränderter Lebenskomfort, weniger Entzündungen und andere Ernährungsgewohnheiten.

Wenn die Umgebung zu kalt oder zu warm ist, muss der Körper schwerer arbeiten, um die Körpertemperatur zu erhalten. Heizungen und Klimaanlagen verschieben die Temperatur in Innenräumen zu unseren Gunsten. Eine Erklärung wäre daher, dass deren zunehmende Verbreitung im letzten Jahrhundert im Großen und Ganzen den Körpern Arbeit abnimmt.

Gleichzeitig hat sich aber auch die Gesundheit der Menschen auf eine Weise verbessert, die chronische Entzündungen im Körper seltener auftreten lässt. Zum Beispiel durch den Einsatz von Antibiotika, durch eine bessere Mundhygiene oder durch weniger Fälle von Infektionskrankheiten wie Tuberkulose. Auch das könnte den Grundverbrauch senken.

Die dritte Erklärung, die veränderten Ernährungsgewohnheiten, kommt von den AutorInnen der aktuellen Arbeit. Die Idee ist, dass die Zusammensetzung der Fette in unser Diät einen den Stoffwechsel beeinflusst. Vor hundert Jahren nahmen wir zu 90% tierische Fette zu uns. Zum Beispiel als Butter oder Schmalz. Heute sind es weniger als 15%. Diese Verschiebung zugunsten von pflanzlichen Ölen hat den Anteil der mehrfach ungesättigten Fettsäuren dramatisch ansteigen lassen und dies könne den Stoffwechsel so verändern, dass der Grundbedarf sinkt.

Den genauen Mechanismus nennen die WissenschaftlerInnen nicht, allerdings untermauern sie ihre Vermutung experimentell. Dazu mussten ein paar Dutzend Mäuse vier Wochen lang ihren Energiebedarf zu Hälfte mit Fett aus nur einer Quelle stillen. Das ging von Butter über Schmalz und Fischöl zu verschiedenen Pflanzenölen aus Erdnüssen, Oliven oder Kakao. Die vier Mäusewochen des Experiments entsprechen etwa dreieinhalb Menschenjahren. Nach dieser Zeit war der Grundbedarf an Energie der Mäuse um so höher je mehr gesättigte Fettsäuren enthalten waren. Das spricht also für die Idee, dass veränderte Ernährungsgewohnheiten den Grundverbrauch verringert haben. Aber ob das Ergebnis so einfach von Maus auf Mensch übertragen werden kann, ist noch unklar.

Nahrung und Gewicht

Natürlich ist der gesunkene Grundbedarf nicht allein für schwerere Menschen verantwortlich. Es wird ja auch mehr gegessen. Wie viel Menschen im Einzelnen essen, ist allerdings nicht leicht zu beantworten. Befragungen sind in der Regel sehr ungenau. Daten der Welternährungsorganisation zeigen jedoch, dass sich die Verfügbarkeit von Nahrung verbessert hat. Obwohl nach wie vor jedeR zehnte ErdbewohnerIn hungert, stehen heute jedem Menschen in Asien 37% und in Europa 12% mehr Kalorien zur Verfügung als noch 1960. Das zeigt zwar, dass Hunger vor allem ein Verteilungsproblem ist, trotzdem enden die Kalorien ja irgendwo: letztendlich in einem gestiegenen Durchschnittsgewicht.

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Ein geringerer Grundverbrauch macht sich auch indirekt bemerkbar. Carl Reinhold August Wunderlich maß 1851 die Körpertemperatur von Tausenden Leipzigern. Damals stellte er erstmals eine „Normaltemperatur“ fest: knapp unter 37°C. Obwohl dies natürlich von Mensch zu Mensch unterschiedlich ist und auch mit dem Alter abnimmt, zeigen sich gegen Ende des 20. Jahrhunderts erste Zweifel an diesem Durchschnittswert. Ein genauerer Blick auf eine Vielzahl von Messungen aus unterschiedlichen Dekaden zeigt, dass die Normaltemperatur tatsächlich abgenommen hat. Unabhängig von Messmethode, Alter oder Herkunft sind menschliche Körper alle zehn Jahre etwa 0.03°C kühler geworden.

©Niko Komin (@kokemikal)

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