Zwei Forscher in der Schweiz vergleichen die Menge der städtischen Grünanlagen mit den dort aufgestellten Honigbienen und sagen eine Verknappung des Futters voraus. Imkerinnen und Imker können das nicht nachvollziehen.
Honigbienen werden mehr, Grünflächen eher nicht
Die Anzahl der Bienenvölker in Deutschland hat seit 2007 deutlich zugenommen. Auch die Stadtimkerei, die in den letzten zehn bis zwanzig Jahren sehr populär geworden ist, hat dazu einen Beitrag geliefert. Allein in Berlin hat sich die Zahl der Bienenvölker seit 2007 mehr als verdreifacht, fast neun Völker teilen sich im Schnitt einen Quadratkilometer Stadt. Das meldet so der Imkerverband Berlin und auch in anderen Großstädten Deutschlands und Europas sehen die Zahlen ähnlich aus.
Da fragten sich nun Joan Casanelles-Abella und Marco Moretti, beide Forscher arbeiten in der Schweiz, ob die Nahrung überhaupt noch ausreichen kann. Denn irgendwas müssen diese Bienen ja einsammeln. Genauer gefragt: Wie viel Grünfläche brauchen Bienen und wie viel gibt es dort, wo ImkerInnen ihre Bienen aufstellen?
Auf Satellitenbildern kann man das Stadtgrün gut erkennen. Die europäischen Sentinelmissionen liefern die Daten, die Auswertung ist bis auf zehn Meter genau (Venter, 2021). Wie viel Grün ein Bienenstock braucht, hatten einmal ForscherInnen in England geschätzt. Danach sollte ein Quadratkilometer typischer Londoner Grünfläche für siebeneinhalb Bienenvölker ausreichend sein (Stevenson, 2020).
Mit diesen Überlegungen kommen die beiden Schweizer Forscher zu dem Schluss, dass die überwältigende Mehrheit der Grünflächen in Schweizer Großstädten zu viele Bienen ertragen muss. Und auch wenn das Grün zehnmal so ergiebig wäre wie angenommen, sei so manche Grünfläche überlastet, zum Beispiel um den Züricher Hauptbahnhof.
Zu wenig Nahrung?
Gibt es also für Bienen zu wenig Futter in der Stadt? Imkerinnen und Imker sehen das nicht so. Marco Conrad imkert in Zürich und ist überzeugt, “dass das Blütenangebot sicherlich nicht knapp ist. Mit den vielen Baumalleen, welche ganzjährig viel Nektar liefern, zusätzlich zu den verschiedenen Friedhöfen, Schrebergärten und sonstigen Pflanzenvielfalt gibt es viel Blütenangebote für alle möglichen Bienen.”
Berlin sieht ähnlich aus – Eberhard Spohd, seit fünfzehn Jahren Imker in Berlin, betont: “Bei der Aufstellung der Bienen ist für mich das Nahrungsangebot nur ein Kriterium.” So würde Spohd zum Beispiel keine windigen Standorte in der prallen Sonne auf Dächern annehmen. Auch brauchen Bienen Wasser, “nicht viel, aber eben zuverlässig auch in heißen und trockenen Zeiten.”
Natürlich gilt auch für Conrad und Spohd, dass ihre Bienen mit weniger Futter weniger Honig einbringen. Aber für sie ist imkern ein Hobby und der Ertrag nicht die treibende Kraft – im Gegensatz zu kommerziellen Imkern.
Melanie von Orlow bringt einen anderen Aspekt ins Spiel. Sie hält auch Bienen in Berlin – derzeit um die zwanzig Völker – ist außerdem promovierte Biologin und führt die Geschäfte des NABU Berlin. Sie sagt: “Die Leute brauchen etwas zum Anfassen. Sie müssen Umwelt erleben können und das können sie über die Honigbiene ganz fantastisch.” Auch wenn die Honigbiene als Nutztier in ihrem Bestand sicher nicht bedroht ist, brächte sie doch eine ungeheure Leistung in der Umweltbildung.
Aber was ist eigentlich mit den anderen Bestäubern; finden die wirklich bedrohten wilden Bienen, Hummeln, Fliegen und Käfer auch noch Futter? ImkerInnen sind sich sicher, das genug für alle da ist. Wenn man genauer hinschaut, trifft das aber nicht immer und überall zu. Außerdem ist das Nahrungsangebot nicht der einzige Berührungspunkt zwischen Honigbienen und anderen Bestäubern.
Honigbienen und andere Bestäuber
Das Zusammenspiel von Honigbienen, Wildbienen und anderen Bestäubern ist äußerst vielfältig. Honigbienen sind Nutztiere. Sie werden von Menschen in unterschiedliche Lebensräume gebracht und können dort theoretisch invasiven Pflanzenarten bei der Ausbreitung helfen, Krankheitserreger verbreiten oder mit anderen Tieren um Nahrung konkurrieren. Aber der genaue Nachweis über einzelne Auswirkungen ist nicht einfach und manchmal auch widersprüchlich.
In den Parks von Paris haben ForscherInnen beispielsweise immer dort weniger Einsiedlerbienen gezählt, wo in der Nähe mehr Honigbienen aufgestellt waren (Ropars, 2019). In einer anderen Studie in Montreal fanden WissenschaftlerInnen aber keinen Zusammenhang zwischen Wildbienen und Honigbienen (McCune, 2020). Allerdings gab es zur Zeit der Studie in Montreal wesentlich weniger Honigbienen, als heute in Berlin oder Zürich.
Noch komplizierter wird es dadurch, dass Bienenzahlen allein nichts über Gründe und Zusammenhänge sagen. Deshalb haben ForscherInnen in einem französischen Naturschutzgebiet den Mageninhalt von eingefangenen Bienen gewogen. Und tatsächlich hatten Wildbienen weniger Erfolg, wenn Imker in der Nähe ihre Stöcke aufgestellt hatten (Henry, 2018).
Stadtbienen – Landbienen
Das eine gewisse Konkurrenz besteht, ist also sehr wahrscheinlich. Ob deswegen gesetzliche Regeln über Mindestabstände notwendig werden, da sind sich Wissenschaftler nicht einig und möchten lieber erst genauer Bescheid wissen. Für Melanie von Orlow ist aber auch klar, dass in einem Naturschutzgebiet Wildbienen absoluten Vorrang haben sollten. Das wäre dann auch ein konkretes Schutzziel.
Manche Wissenschaftler bezweifeln generell, dass in Stadtgebieten seltene und schutzbedürftige Wildbienen leben würden. Andere glauben, dass Städte als Filter funktionieren können: einige Arten würden favorisiert auf Kosten anderer. Welche das im Einzelfall sind, hinge von der Stadt ab, so schreibt uns Benoit Geslin. Er ist einer von denen, die in den Pariser Parks die Bienen gezählt hatten.
Die Sache ist also kompliziert. Im direkten Vergleich der Insektenvielfalt eines Waldrandes bei Zossen mit dem Berliner Botanischen Garten schnitt der Waldrand insgesamt besser ab. Aber bei Bienen und Wespen war es gerade umgekehrt. Die Stadt scheint vielen von ihnen bessere Zuflucht zu bieten. Das gleiche gilt im Vergleich des Dresdener Großen Gartens mit einem Waldrand bei Freiberg (Theodorou, 2020).
Wie dem auch sei, von Orlow betont: “Wer jetzt sagt, wir haben zu viele Honigbienenvölker in der Stadt und wir bedrohen damit Wildbienen, der verkennt vollkommen, dass die Wildbienen ganz andere und viel größere Probleme haben.” Zum Beispiel den städtischen Flächenverbrauch. Unversiegelter Boden ist heute rar in der Stadt, es fehlen also Nistplätze. Und da helfen dann auch kaum Insektenhotels denn “75% wohnen im Boden und nicht in solchen Insektenhotels.”
©Niko Komin (@kokemikal)
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