Neutrinos und Biolumineszenz im Mittelmeer

Glaskugel in der Tiefsee mit lichtempfindlicher Elektronik zum Aufspüren von Neutrinos und Biolumineszenz.
Glaskugel mit lichtempfindlicher Elektronik an seinem Platz in 3500m Tiefe (Foto: Copyright KM3NeT).

Seit 2015 entsteht im Mittelmeer mit “KM3NeT” ein neues Observatorium für Neutrinos. In der Finsternis der Tiefsee spüren AstrophysikerInnen diesen eigenartigen Teilchen nach, die nur sehr selten mit ihrer Umgebung reagieren und deshalb in den Medien oft Geisterteilchen genannt werden. Wenn sie doch einmal reagieren, können dabei schnell fliegende Elektronen entstehen. Sie fliegen so schnell, dass sie im geeigneten Medium einen Lichtblitz erzeugen. Ein geeignetes Medium für diese sogenannte Tscherenkow-Strahlung ist zum Beispiel Wasser. Das Observatorium erhielt nun am italienischen Standort vor der Sizilianischen Küste in 3500 Metern Tiefe einen weiteren Abschnitt (Pressemitteilung).

Achtzehn lichtempfindliche Elemente aufgerollt in einem Gerüst, das sich nach Verankerung durch seinen Auftrieb von allein entrollt.
Die 18 Glaskugeln sind in einem extra angefertigten Gefährt eingerollt. Nachdem es am Boden verankert ist, entrollt sich das Kabel von selbst. Hier ein Link zu einem kurzen Film, der das zeigt. Fünf solcher Kabel wurden jetzt entrollt. (Film von KM3NeT, gehostet auf Twitter. Ein Account ist zum Anschauen nicht notwendig.)

Einen Kubikkilometer Wasser soll KM3NeT einmal überwachen. Dazu hängen basketballgroße Glaskugeln an siebenhundert Metern langen Kabeln, die im Boden verankert sind und sich mit Schwimmern aufrecht halten. In den Kugeln steckt die Elektronik, welche die kleinen Lichtblitze aufzeichnet. An mehreren Hundert Kabeln werden jeweils 18 Kugeln hängen. Die Reihenfolge, in der die Blitze auf die Kugeln treffen, verrät die Flugrichtung der hindurch fliegenden Elektronen und somit auch die Herkunft der Neutrinos.

Das Projekt KM3NeT besteht eigentlich aus zwei Detektoren: ORCA vor der Küste Frankreichs und ARCA vor Sizilien. Bei ORCA sind die lichtempfindlichen Elemente sehr dicht beieinander angeordnet und konzentrieren sich auf die Eigenschaften der Neutrinos selbst. Sie beobachten jene, die in der oberen Erdatmosphäre entstehen. Die Elemente bei ARCA sind viel weiter auseinander. Hier geht es um die hoch energetischen Neutrinos, die aus den Weiten des Weltalls kommen und zum Beispiel von Supernovas oder von kollidierenden Sternen stammen.

Doch die Neutrinos sind nicht das Einzige, was in der Tiefsee leuchtet.

Karte des westlichen Mittelmeers. ORCA und ARCA sind die beiden Standorte von KM3NeT.
Karte des westlichen Mittelmeers. ORCA und ARCA sind die beiden Standorte von KM3NeT. Wenn Wasser vor Perpignan abkühlt und salziger wird, bringt es Nährstoffe in die Tiefe von ORCA und ANTARES.

Supernovas oder Lebewesen?

Beim Vorgängerexperiment ANTARES, ebenfalls im Mittelmeer, kam es immer wieder zu Signalen an allen Elementen gleichzeitig. Die Vermutung war damals, dass leuchtende Organismen für das Störsignal verantwortlich sind – Biolumineszenz. Denn mindestens 90% der Tiefseeorganismen sollen in der Lage sein, Licht auf die eine oder andere Art zu erzeugen. Und diese “Tiefseeorganismen leuchten genau in dem Wellenlängenbereich, in dem Wasser am transparentesten ist” schreibt uns Uli Katz, Professor für Astroteilchenphysik an der Universität Erlangen. Das ist dann die gleiche Farbe, mit der sich die Neutrinos bemerkbar machen. Glücklicherweise können beide Signale – Neutrinos und Biolumineszenz – leicht auseinander gehalten werden. Aus der Erfahrung mit ANTARES weiß Uli Katz, dass „diese Aussage wirklich in der Praxis getestet ist und nicht auf Annahmen und Vermutungen beruht.“

Kreisförmige Petrischale mit blaugrün leuchtender Bakterienkolonie der Art Photobacterium phosphoreum.
Bakterien der biolumineszenten Art Photobacterium phosphoreum wurden im Wasser am ANTARES-Standort in 2000 Metern Tiefe gefunden. Sie verursachten wahrscheinlich die Blüten in den Jahren 2009 und 2010. Hier ein Foto solcher Bakterien in einer Petrischale (Foto: Fatima Giron).

Denn damals wurden Meeresbiologinnen vom Mittelmeerinstitut für Ozeanographie (MIO) mit ins Boot geholt. Und die machten dann eine bemerkenswerte Entdeckung: Zweimal, jeweils im Frühjahr 2009 und 2010, war das Störsignal besonders stark. “Jedes Mal stieg dort gleichzeitig auch die Wassertemperatur und der Salzgehalt”, berichtet Christian Tamburini vom MIO. “Wir fanden die Erklärung: die Erneuerung des Wassers in der Tiefe des Golfe du Lion. Es braucht einen Monat, um bei ANTARES anzukommen.” In jenen Jahren war der Winter besonders kalt und windig. Daher kühlt das Oberflächenwasser vor Perpignan ab, gleichzeitig verdunstet es schneller und wird also salziger. Die Wassermassen werden schwerer, sinken ab und bringen Sauerstoff, Kohlenstoff und Nährstoffe in die noch kältere Tiefe. Davon profitieren die Organismen der Tiefsee.

Christian Tamburini möchte nun auch mit ARCA, ORCA und anderen internationalen Observatorien weiter arbeiten. Außerdem entwickelt er mit Kolleginnen und Kollegen einen Roboter namens BathyBot (griech. bathus=tief). Dieser soll mit einer hoch empfindlichen Kamera in der Gegend um die Neutrinodetektoren die leuchtenden Organismen genauer untersuchen.

Da auch Eis ein für Tscherenkow-Strahlung geeignetes Medium ist, wurden am Südpol bereits vor über zehn Jahren Lichtdetektoren im antarktischen Eisschild versenkt. Das IceCube genannte Observatorium spürt seit 2010 hoch-energetische Neutrinos auf. Das Prinzip ist das Gleiche, wie bei KM3NeT und ANTARES, Biolumineszenz ist dort aber nicht zu erwarten.

©Niko Komin (@kokemikal)

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