Kosmischer Staub ist sehr fein. Fein und vereist. Aber nicht nur das. Entgegen bisheriger Annahmen ist er auch hochgradig verästelt. Dies hat Folgen für die Weltraumchemie.
Große organische Moleküle gibt es nicht nur auf der Erde. Methan, Methanol und Alkohol findet man in manch interstellarer Wolke, Aminosäuren, die Bausteine aller Proteine, auf Meteoriten und sogar auf dem Kometen „Tschuri“. Doch der Weltraum ist oft zu kalt und zu leer für einzelne Atome, um sich nahe genug zu kommen und größere Moleküle zu bilden. Hinzu kommt starke ionisierende Strahlung, die viele Moleküle schnell wieder zerstört. Wie können sich dann überhaupt Aminosäuren und andere organische Verbindungen im Weltraum bilden?
WissenschaftlerInnen gehen davon aus, dass kosmische Staubkörner, insbesondere von Eis umgebene, kleine Chemielabore sind. Sie fangen Atome ein, bringen diese einander näher und erleichtern deren Reaktion. Ohne solche Labore gäbe es im Weltall neben einzelnen Atomen nur kleinere Moleküle.
Wie sich nun herausstellt sind die Staubkörner aber keine kompakten Steinchen, die zwiebelschalenmäßig von Eis umhüllt sind. Stattdessen ist der Staub porös und verästelt und das Eis verteilt sich darin über die einzelnen Poren des Staubes (Potapov (2020)), wie eine kleine Menge Butter auf einem Toast. So vergleicht es der Erstautor der Studie Alexey Potapov von der Universität Jena gegenüber dem Online-Magazin der Amerikanischen Physikalischen Gesellschaft.
“Analogstaub” mit Eis wird erhitzt
Die meisten Staubkörner im Weltall sind aus Quarz wie der meiste irdische Sand oder aus Kohlenstoff. Im aktuellen Experiment beschossen die ForscherInnen Graphit mit Laserblitzen. Der herausgeschlagene Kohlenstoff wird auf ein glatte Flächen gelenkt, wo er sich wieder ansammelt. Dabei bilden sich keine kompakten Graphitblöcke, sondern poröse, verzweigte Fusseln, fast so wie der Staub unter meinem Bett.
Dann kommt Eis hinzu: Extrem kaltes Kohlenmonoxid, in der Apparatur sind es jetzt etwa minus 265 Grad Celsius, überfriert den “Analogstaub”. Zusätzlich bekommt eine nackte Probe ohne Staub die Eisbehandlung. Sie dient zum Vergleich, denn auf glatten Flächen bildet das Eis garantiert kompakte Decken.
Schließlich werden die Proben pro Minute um genau zwei Grad erwärmt und dabei entstehendes Gas wird abgesaugt und vermessen.
Zu Beginn bleibt alles gleich. Nach etwa zehn Minuten, in der Experimentierkammer sind es inzwischen komfortable 240 Grad unter Null, schlägt der Gasdetektor aus: Das Eis verdampft und zwar mit jeder Minute schneller.
An der ausströmenden Menge kann man nun erkennen, ob sie von einer geschlossenen Eisschicht kommt oder nicht: Eisdecken produzieren in einer bestimmten Zeit, sagen wir in der elften oder zwölften Minute, gleich viel Gas, egal wie dick sie sind. Bei verteilten Eisinseln ist das nicht so: je mehr Inseln, also je mehr Eis insgesamt, desto mehr Gas strömt aus. Das liegt daran, dass das Eis an der Oberfläche verdampft und diese ist bei der geschlossenen Decke immer gleich, unabhängig von der Dicke. Verteiltes Eis hat mit größerer Menge aber auch eine größere Oberfläche.
Umbau im kosmischen Chemielabor
Die Verästelung hat Folgen für die Astrochemie denn die Atome und kleinen Moleküle, die vom Staub eingefangen wurden, spielen auf einem anderen Feld als bisher gedacht. Das ändert die Regeln und zwar hin zu einem schnelleren Spiel. Gezeigt haben das die ForscherInnen in einem anderen Experiment, dessen Ergebnisse sie im Sommer 2019 veröffentlichten (Potapov (2019)).
Da beobachteten sie ein Eisgemisch aus Kohlendioxid und Ammoniak, zwei relativ kleine, im Weltraum häufig vorkommende Moleküle, und verglichen wie schnell diese miteinander reagieren: in geschlossenen Eisschichten und verteilt in porösem Staub. Vier Stunden lang bei minus 190 Grad Celsius.
Die anschließende Inventur zeigte, dass auf der glatten Fläche die Eismenge keine Rolle für die Schnelligkeit der Reaktion spielt. Ist die gleiche Menge Eis jedoch in kleinen Inseln über die vielen Löcher des porösen Analogstaubs verteilt, können sich die Moleküle im besten Fall mehr als doppelt so schnell verbinden. Frei liegende Flächen des Staubes und die verteilte Form des Eises beschleunigen die Reaktion.
So ergibt sich für die Bildung von Molekülen im Weltall ein neuer Weg, ein Weg der bislang nicht berücksichtigt wurde. Das könnte der Astrochemie neue Impulse geben.
©Niko Komin (@kokemikal)
Hierzu passender Artikel über Staub im Weltraum: „Planetenentstehung im Fallturm“ (Dezember 2018)
Artikel zum Kometen „Tschuri“: „Von Krabben, Kometen und Tunneln im Sand“ (Dezember 2018)
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