Australien: Gemüse in der Steinzeit

Pflanzliche Nahrung aus dem Australischen Busch.
Modernes “Bush Tucker”, wie es die Tourismuskommission des Northern Territory bewirbt

Die Wiege des modernen Menschen liegt in Afrika. Hier wurden die ältesten Steinwerkzeuge gefunden, hier hat die Nutzung des Feuers begonnen und hier nahm die Besiedlung der Erde vor mehr als 200.000 Jahren ihren Anfang. Wann genau und welchen Weg sie nahmen, wie die Menschen lebten und wovon sie sich ernährten ist ein riesiges Puzzle mit vielen fehlenden Teilen.

Zu dem Bereich des Puzzles der die Besiedlung Australiens zeigt, wurde Anfang des Jahres ein weiteres Teil hinzugefügt: an einer uralten menschlichen Feuerstelle im Kakadu-Nationalpark im hohen Norden des Landes lagen verkohlte Reste pflanzlicher Nahrung, die auch heute noch in der Gegend zu finden sind (Florin, 2020).

Während der Ausbreitung des Menschen schwankte das Weltklima zwischen Warm- und Kaltzeiten mit wechselnder Vereisung und veränderlichem Meeresspiegel. Meist stand das Meer niedriger als heute und Australien formte mit den größeren Inseln im Norden die vereinte Landmasse Sahul. Diese wurde irgendwann von Südostasien her besiedelt. Der Ort der ersten Übernachtung und des allerersten Frühstücks auf australischem Boden liegt heute mit großer Wahrscheinlichkeit unter Wasser.

Karte mit verschiedenen Küstenlinien. Südostasiatischer Festlandssockel "Sunda", australischer Sockel "Sahul" und die Inseln von Wallacea dazwischen.
Bei niedrigem Meeresspiegel formten Australien und die Inseln im Norden eine Landmasse: Sahul. Die Karte zeigt die derzeitige Küste als schwarze Linie, in Abstufungen frühere Küstenlinien bei heutigen Meerestiefen von 40m, 80m und 120m. Sunda ist das frühere Festland Südostasiens, Wallacea die Inseln dazwischen.

Ausgrabungen

Im Norden Australiens, fünfzig Kilometer von der Küste entfernt, bildet die Wand eines Sandsteinmassivs einen Überhang: Madjedbebe bietet auf fünfzig Metern Länge und fünf Metern Breite Schutz vor der Witterung, die Wände sind mit einer Vielzahl von Felsenmalereien dekoriert. Darunter sind Bilder von Gewehren und Schiffen aus der Zeit der Kolonisation durch Europäer.

Der Fußboden besteht aus einer mehr als vier Meter dicken Sandschicht, die sich in den letzten hunderttausend Jahren dort angesammelt hat. Seit den 1970ern wurden in mehreren Bohrungen und Ausgrabungen große Mengen sehr alter Spuren menschlicher Nutzung ans Licht gebracht. Neben Steinwerkzeugen auch Feuerstellen, an denen kleine, verkohlte Pflanzenreste bis heute überdauert haben.

Um solche Reste aus großen Sandmengen herauszufischen, vermengen ArchäologInnen den ausgegrabenen Sand mit Wasser. Steine und Sand sinken nach unten, die Pflanzenreste schwimmen an der Oberfläche. Sie können abgeschöpft und genauer untersucht werden. Seit Anfang der 1960er Jahre wird diese Flotation genannte Methode verwendet und verfeinert, heute oft mit fassgroßen Tanks. Die sind relativ leicht zu bauen und können große Mengen Sand verarbeiten.

Flotationstanks zum filtern von Resten pflanzlicher Nahrung und von Holzkohle aus Ausgrabungsmaterial.
Beispiel des Einsatzes von Flotations-Tanks. (Fotos: Gail E. Wagner, University of South Carolina)

Pflanzliche Nahrung

Anna Florin arbeitet an der Universität Queensland an ihrer Doktorarbeit. Bei Ausgrabungen in Madjedbebe benutzte die Flotations-Tanks für den Sand. “Als mir klar wurde, dass wir Reste pflanzlicher Nahrung aus den frühesten Phasen menschlicher Bewohnung hatten, die identifiziert werden können, wusste ich, dass dies die Leute interessieren wird”, so erinnert sie sich. “Es gibt weltweit kaum Nachweise für die Nutzung von Pflanzen in der Ernährung früher Menschen” und dies seien die ältesten Spuren von Populationen, die nach Australien einwanderten.

Und was aßen die Vorfahren in Madjedbebe? Im Sand der Ausgrabungen fand Anna Florin mehr als eintausend verkohlte Pflanzenreste. Zu deren Identifikation braucht sie Vergleichsmaterial, das sie gemeinsam mit May Nango und Djaykuk Djandjomerr einsammelte. Nango und Djandjomerr sind vom Volk der Mirrar, das in der Gegend zuhause ist. Sie kennen die essbaren unter den lokalen Wildpflanzen, die Florin dann unterm Mikroskop im Labor mit den Funden verglich.

Anhand der Struktur erkannte sie verschiedene Pflanzen: Früchte aus der Cashewfamilie, Teile von Palmenstämmen und Teile aus dem Inneren von Speicherorganen wie der Yamswurzel. Nicht alles davon kann direkt von der Hand in den Mund gegessen werden. Daher zeigten Nango und Djandjomerr auch, welche Teile wie geschält, geröstet oder gestampft werden müssen, um genießbar zu werden. Es sind nicht alles leicht zugängliche Nahrungsquellen, die in Madjedbebe vor langer Zeit auf den Tisch kamen.

Allgemein populär ist das Bild von Steinzeitmenschen, die Unmengen von Fleisch vertilgen. Auch in der Archäologie hatte der Fokus auf Fleisch die pflanzliche Nahrung lange in den Schatten gestellt. Inzwischen haben sich der Fokus und das Gesamtbild erweitert. Aus Afrika kennt man 170.000 Jahre alte Reste von gekochtem, stärkehaltigen Wurzelgemüse (Wadley, 2020) und Hülsenfrüchte wurden schon vor 60.000 Jahren in Israel verzehrt (Lev, 2005), obwohl diese wegen der enthaltenen Gifte verarbeitet werden müssen.

Beispiele für pflanzliche Nahrung in Nordaustralien wie sie auch in Madjedbebe gefunden wurde.
Einige der in Madjedbebe verzehrten Pflanzen (von links nach rechts): man-mobban oder billygoat plum (Gattung Myrobalanen), man-dudjmi oder green plum (Buchanania der Cashew-Familie), karrbarda oder long yam (Yams). (Fotos: Universität Queensland)

Out-of-Africa-Theorie

Aber warum ist die Frage nach der Steinzeitdiät überhaupt interessant? Die Antwort bedient nicht nur die reine Neugier auf die Lebensweise unserer Vorfahren. Sie kann auch dabei helfen, den Weg der Menschen von Afrika in den Rest der Welt nachzugehen.

Waren es erschöpfte Quellen leicht zugänglicher Nahrung aus dem Meer, welche die Menschen schnell weiter zu bislang unerschlossenen Gebieten trieben oder waren Menschen schon sehr früh flexibel genug, um unter unterschiedlichsten Bedingungen jenseits der Küste zu leben? Bestand die Speisekarte aus wenigen aber hoch energetischen Zutaten oder war sie vielseitig und erforderte teilweise komplexe Zubereitungsmethoden?

Diese Fragen sind noch nicht eindeutig beantwortet. Aber die Funde in Madjedbebe weisen auf ein breites Nahrungsangebot hin. Sie zeigen, dass die BewohnerInnen komplexe Zubereitungen beherrschten und diese Methoden weitergaben. Die Tierwelt zwischen Südostasien und Nordsahul ist sehr verschieden. Das verlangte von den Pionieren wahrscheinlich, neue Jagd- und Fangmethoden zu entwickeln. Die Pflanzenwelt hingegen ist viel kontinuierlicher. Methoden die sich auf der einen Seite der Meerenge bewährt hatten, sollten auch auf der anderen Seite erfolgreich sein.

Die Idee einer schnellen Ausbreitung entlang der Küsten ist durch die Funde nicht widerlegt. Aber sie zeigen, dass der Druck weiterziehen zu müssen, wenn reichhaltige Jagdgründe erschöpft sind, gar nicht so stark ist, wie früher angenommen.

Weltkarte mit dem Ausbreitungsweg des modernen Menschen.
Der Ausbreitungsweg des Modernen Menschen mit groben Zeitangaben. Mit dabei das Verbreitungsgebiet des Neandertalers (orange) und des Homo erectus (gelb). (Aus Wikipedia)

Alter und Kontroverse

Die verkohlten Pflanzenreste von Madjedbebe ruhten in zwei bis zweieinhalb Metern Tiefe, in der untersten Schicht menschlicher Nutzung der Höhle. Der Sand lag zum letzten Mal vor ungefähr 53.000 bis 65.000 Jahren in der Sonne, dies ergab die Methode der Luminiszenzdatierung. Sind deshalb die Pflanzenreste ebenso alt? Anna Florin und ihre KollegInnen gehen davon aus und sehen in den Funden die bislang ältesten bekannten menschlichen Spuren auf dem australischen Kontinent. Kritik an diesen Zahlen gibt es aber, seit die Datierungen 1990 erstmals in den Raum gestellt wurden (Roberts, 1990).

Tatsächlich fällt das Alter nicht nur ein bisschen aus der Reihe sondern ist um zehn- bis zwanzigtausend Jahre größer, als andere und weniger umstrittene Funde in Australien. Die KritikerInnen äußern vor allem zwei Punkte, die dazu führen, dass der umgebende Sand nicht das Alter des gefundenen Objekts wiedergibt.

Termitenhügel im Arnhemland
Termitenhügel im Arnhemland, NT, Australien. (Foto: CSIRO, CC BY 3.0)

Zum einen können die Bewohner selbst die Verursacher sein: verliert man am Strand seinen Schlüssel, wird dieser durchs Drüberlaufen immer tiefer eingearbeitet. Das gleiche gilt für Steinwerkzeuge oder Essensreste. Schon die Autoren von 1990 halten dagegen, dass der Sand in Madjedbebe zu hart sei, um die Fundstücke großartig zu deplatzieren. Neben herumtrampelnden Menschen können auch Termiten die Archäologen in die Irre führen. Termiten sortieren über längere Zeiträume hinweg den Boden großräumig um, nehmen feine Sandkörner heraus und transportieren sie nach oben. Sie hinterlassen dabei laut einer Arbeit aus dem Jahr 2019 ein charakteristisches Muster aus feinem über grobem Sand, was Madjedbebe aber nicht existiert (Smith, 2019).

Einige der ursprünglich kritischen Stimmen haben sich überzeugen lassen, jedoch nicht alle. Prominente Kritiker wie Jim Allen und James O’Connell gehen weiterhin von einer Besiedlung vor maximal 51.000 Jahren aus. Genetischen Untersuchungen zur Verwandtschaft, eine der neuesten Methoden der Archäologie, lassen beide Interpretationen zu. Sie zeigen nur, dass sich die Vorfahren der Aborigines Australiens und Papua-Neuguineas vor 51.000 bis 70.000 Jahren von anderen Menschen abspalteten und ihren eigenen Weg gingen. Wo es passierte, kann heute niemand sagen.

©Niko Komin (@kokemikal)

Hierzu passender Artikel: „Beteigeuze in Australischen Überlieferungen“


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