Die Standorte in Handydaten während einer Epidemie können verraten, wo die Ansteckungsgefahr steigt. Kennt man die Eigenschaften der Überträger, zum Beispiel der Mücken, werden die Vorhersagen präziser.
Tägliches Pendeln, saisonaler Tourismus oder dauerhafte Migration; vom Land in die nächste Stadt oder über Meere und Kontinente hinweg: die menschliche Mobilität ist für die weltweite Ausbreitung von Krankheiten von enormer Bedeutung. Jedes Mal könnte ein Krankheitserreger mitreisen. Seit Handys allgegenwärtig geworden sind, bilden ihre Positionen die Bewegung der Menschen repräsentativ ab. Ist es möglich, aus diesen Daten den Verlauf einer Epidemie vorherzusagen?
Zika ist eine Viruskrankheit, deren Erreger meist durch Tigermücken von Mensch zu Mensch übertragen wird und die vor allem die Gesundheit von Föten bedroht. In den Jahren 2015 und 2016 kam es weltweit zu besonders vielen Erkrankungen. Auch in Singapur breitete sich damals das Zikavirus, ausgehend von einem kleinen, zentralen, halbmondförmigen Gebiet über die ganze Stadt aus. Dort, um eine Baustelle herum, wo Tigermücken beste Brutbedingungen finden, steckten sich die meisten Menschen an.
Aber die Mücken fliegen nur sehr kurze Strecken, für die großflächige Verteilung in der Stadt ist der Mensch verantwortlich. Da liegt es nahe, aus Handydaten etwas über den Weg der Epidemie erfahren zu wollen. Singapurer ForscherInnen verglichen deshalb die offiziellen Fallzahlen von 2016 mit den Daten jener Handys, die sich damals länger in der Gegend um die Baustelle aufgehalten hatten. Wo diese hinkommen, steigt die Wahrscheinlichkeit für einen Zikafall an (Rajarethinam (2019)).
Genauigkeit der Handydaten
Klassische Methoden Migration abzuschätzen sind eher grob. Sie zählen beispielsweise Fahrgäste oder schauen auf die Größe von Aufnahmelagern. Handydaten sind einfacher und genauer zu erfassen, außerdem stehen sie nahezu in Echtzeit zur Verfügung.
Die erste wissenschaftliche Arbeit mit Handy-Standorten fand 2008 Gemeinsamkeiten im Bewegungsmuster aller 100.000 ausgewählten Handynutzer (Gonzalez (2008)). Wenig später verglichen andere ForscherInnen Positionsdaten mit Infektionszahlen: für die Choleraepidemie, welche 2010 im erdbebenzerstörten Haiti ausbrach, für Malaria in Kenia und Namibia sowie für Denguefieber in Pakistan.
Die Analyse aus Singapur ist die bislang genaueste ihrer Art: elftausend etwa 300 m große Sechsecke überdecken eine Fläche von der Größe Hamburgs. Die Cholerafälle im vierzig mal größeren Haiti wurden dagegen nur 78 verschiedenen Gegenden zugeordnet. Allein 24 der Sechsecke gehören zum Ausgangsgebiet, in dem fast dreihundert Menschen erkrankten.
Ein Telefonanbieter, zu dem fast jedes dritte Handy in Singapur gehört, stellte die anonymisierte Handydaten aus einer Woche bereit: einzig die von den ausgewählten Handys besuchten Sechsecke speichert der Datensatz. Insbesondere eine mögliche Erkrankung der Telefonierenden ist nicht bekannt. Aber die offiziell gemeldeten Erkrankungen können ebenfalls den Sechsecken zugeordnet werden und dann zeigt sich: Aus dem Ausgangsgebiet besuchte Sechsecke haben eine dreimal höhere Wahrscheinlichkeit einen Zikafall zu melden, als unbesuchte Sechsecke.
Volkszählung unter Mücken
Natürlich ist es nicht ganz einfach, mit dieser Zahl die Epidemie vorherzusagen. Auch Sechsecke ohne Besuch melden Zika und nicht jeder Besuch hat eine Ansteckung zur Folge. Daher müssen für eine zuverlässige Vorhersage noch andere Faktoren mit berücksichtigt werden. Dies kann beispielsweise die Zusammensetzung der Mückenpopulation sein.
Der Denguevirus ist mit dem Zikavirus eng verwandt. Bekannt ist, dass die Ägyptische Tigermücke Dengue besser überträgt als die Asiatische Tigermücke. Dies benutzten die Autoren der Handystudie in einer weiteren Veröffentlichung, um eine Karte für das Dengue-Risiko Singapurs aus dem Verhältnis der beiden Mückenarten zu bestimmen (Ong (2019)).
In Singapur gibt es hunderte „Vektor-Kontrolloffiziere“, die täglich Mückenlarven aus den verschiedenen Brutstätten einsammeln. In Deutschland kann jede und jeder mitmachen um den Mückenatlas aufzubauen: Mücken einfangen und zur Bestimmung ans Friedrich-Loeffler-Institut schicken. Dieses erstellt dann Karten der verschiedenen Mückenarten in Deutschland.
Die Kombination solcher und anderer Informationen mit Handy-Positionsdaten wird es uns hoffentlich eines Tages erlauben, schnell und gezielt Gegenmaßnahmen zu ergreifen. Zum Beispiel mit medizinischer Hilfe, Aufklärung oder Vorsorgemaßnahmen.
Gezielte Gegenmaßnahmen
Im Falle von Krankheiten wie Zika, Dengue und Malaria, die von Mücken weitergetragen werden, schützt man sich selbst am besten durch lange Kleidung aus engmaschigem Stoff und durch Mückengitter vor den Fenstern. Tragbare Moskitonetze helfen vor allem bei Reisen in betroffene Gebiete. Außerdem gibt es verschiedene Forschungsansätze, die Mücken direkt zu bekämpfen.
Im Juli 2019 berichteten verschiedene Medien (u. a. Spektrum.de und wissenschaft.de) über einen Versuch in China: ForscherInnen hatten auf zwei relativ kleinen Flächen mit Wolbachia-Bakterien infizierte Tigermücken freigelassen. Die Eier solcher Mücken sind nur dann fruchtbar, wenn beide Paarungspartner mit den gleichen Bakterienstämmen infiziert waren. Durch die Freilassung vieler Mückenmännchen mit Wolbachia, die im Testgebiet nicht vorkommen, paaren sich die wilden Weibchen ohne Nachkommen zu haben. So verringert sich die Mückenpopulation drastisch. Dieses Verfahren ist relativ aufwändig und noch nicht für große Flächen geeignet, aber gerade durch die Identifikation lokaler Krisenherde könnte diese Methode erfolgreich lokal eingesetzt werden.
Ein anderer Weg sind genetisch manipulierte Mücken, deren Nachkommen nicht über das Larvenstadium hinauskommen. Oxitec Ltd., eine Firma aus Großbritannien, kam jetzt in die Schlagzeilen, weil Kreuzungen ihrer Mücken mit wilden Artgenossen im Freiland überlebt hatten. Allerdings dramatisierte der Forschungsartikel das Ergebnis in unzulässiger Weise, wie unter anderem einige der Autoren selbst kritisierten und daraufhin teilweise ihre Autorschaft zurückzogen.
Zwar sind manche Gene der „Labormücke“ tatsächlich in die Wildpopulation übergegangen, aber gerade das modifizierte Gen tat dies eben nicht. Es ist ja auch tödlich für die Insekten. Auch für Behauptungen, die Kreuzungen wären potentere Überträger oder gar resistent gegen Insektizide gibt es keinerlei Grundlage.
Der Verlag bemerkt derzeit (27.09.2019): „… die Schlussfolgerungen dieses Artikels sind Ziel von Kritik, die derzeit von den Redakteuren berücksichtigt werden.“
Update (26.7.2020): Mitte Mai ergänzte die Redaktion von Scientific Reports den Artikel um einen Hinweis. Unabhängige Gutachter bestätigen die Kritikpunkte und empfehlen eine Überarbeitung. Die AutorInnen bekommen nun die Gelegenheit, Korrekturen einzureichen. Deren Antwort steht noch aus.
©Niko Komin (@kokemikal)
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Wissenschaftliche Artikel zur Choleraepidemie in Haiti: Bengtsson (2011)/(2015), zu Malaria in Kenya und Namibia: Wesolowski (2012), Ruktanonchai (2016) und zu Dengue in Pakistan: Wesolowski (2015).
Bildnachweis:- Karte aus Originalartikel, Fig 3. mit erhöhtem Kontrast, (CC BY 4.0); Telefonmast von Clker-Free-Vector-Images und “Mosquito” von mohamed Hassan (Pixabay); Virushülle Protein Data Bank, 5ire
- Mücken von nekoh.fi (CC BY 2.0)