Bakterien schwimmen in engen Kanälen schneller als im offenen Gelände. Die Nähe zu den Wänden hilft ihnen bei der Bewegung. Außerdem meiden sie die Kanalmitte.
Viele Bakterienarten haben äußerlich Fäden angebracht. Sie können diese, einem Propeller gleich, in Drehung versetzen und sich so vorwärts bewegen oder sich um ihre eigene Achse drehen. In einem kurzen Filmchen von Howard Berg, der an der Harvard Universität die Bewegung von Bakterien studiert, kann man das sehr schön sehen. E. coli Bakterien schaffen es so, in einer Minute bis zu zwei Millimeter weit zu schwimmen. Dass sie aber in sehr schmalen Kanälen auf die dreifache Geschwindigkeit beschleunigen, wurde kürzlich in einem Experiment an der Universität Liverpool beobachtet (Artikel in Physical Review Letters (Bezahlschranke)).
Das Bakterienrennen
E. coli messen etwa einen bis zwei Mikrometer (Tausendstelmillimeter). Die WissenschaftlerInnen in Liverpool bauten Kanäle in der gleichen Größenordnung: zwischen zwei und zehn Mikrometern breit und zehn Mikrometer hoch. Diese fluten sie dann mit einer Nährlösung voller Bakterien. Eine Kamera filmt den Versuch durch ein Mikroskop und ein Computerprogramm erstellt für jede Mikrobe ein individuelles Bewegungsprofil.
Im “offenen Gelände” vor den Kanälen kommen die schnellsten von ihnen in einer Minute zwei Millimeter weit, im Durchschnitt immer noch einen Millimeter. Beim Eintritt in die Kanäle beschleunigen sie ihre Fahrt ganz beachtlich. Fast doppelt so schnell werden sie, und zwar unabhängig von der Breite der Fahrrinnen. Jedoch mit zwei Ausnahmen: im kleinsten Kanal (zwei Mikrometer breit) beschleunigen sie etwas weniger, im vier Mikrometer messenden dafür sehr viel mehr.
Dieses unerwartete Ergebnis wird etwas verständlicher, wenn man sich die Bahnen der Bakterien genauer anschaut. Die E. coli benutzen nämlich nicht die gesamte Breite gleichmäßig, sondern bevorzugen die Nähe zu einer der beiden Wände. Dort überträgt sich die Drehung der Fäden effektiver in Bewegungsenergie. Sind die Wände auf beiden Seiten im optimalen Abstand, vergrößert sich dieser Effekt noch. Deshalb sind die Bakterien in dem vier Mikrometer messenden Kanal am schnellsten. Zu kleine Wandabstände behindern aber die Fadendrehungen und der Effekt wird kleiner. Allerdings schwimmen die Bakterien dann gleichförmiger, ohne das normalerweise hin und wieder auftretende Taumeln.
Das Nachspiel
Künstliche, mikrometergroße Strukturen wie im beschriebenen Experiment werden in der Grundlagenforschung verwendet, um Bakterien einzeln zu studieren – das Verhalten isolierter Mikroben oder die Aktivität ihrer Gene als ein Schlüssel zum Verständnis ganzer Kolonien. Aber die praktische Bedeutung des Liverpooler Experiments geht noch weiter: Viele Harnwegsinfektionen werden zum Beispiel durch E. coli hervorgerufen, welche dabei unter anderem in mikrometerfeinen Strukturen der Niere siedeln. Eine ähnliche Größenordnung haben die feinsten Blutgefäße im menschlichen Körper und auch die Hohlräume, welche Mikroben im Erdreich bewohnen. Letztere sind ein wichtiger Bestandteil eines funktionierenden Bodens, können aber auch negativ auf die Grundwasserfilterung einwirken. Dan V. Nicolau, einer der Autoren des Liverpooler Experiments, entwickelten zusammen mit anderen 2006 das Konzept eines biologischen Computers, in dem sich Bakterien oder sogar nur einfache biologische Motoren durch ein Tunnelnetzwerk bewegen.* Die Hoffnung ist, dass ein solcher Biorechner mathematische Probleme mit kleinerem Energieverbrauch löst als ein normaler Computer. Eine einfache Version wurde später auch gebaut (PNAS), die praktische Anwendung ist aber bislang noch ausgeblieben.
Wie genau sich Bakterien durch kleinste Tunnel bewegen ist also tatsächlich in vielen Bereichen der Forschung von Interesse.
©Niko Komin (Follow @kokemikal)
*Nachtrag 19.01.2019
Die Bakterien oder biologischen Motoren sollen sich durch ein Labyrinth bewegen, an dessen Kreuzungen jeweils bestimmte Wege gesperrt sind. Eine zu lösende Mathematikaufgabe muss zunächst in das entsprechende Netzwerk übersetzt werden. Dort laufen dann viele der biologischen “Agenten” parallel hindurch und finden so alle möglichen Wege. Diese entsprechen der Lösung des Problems.
Um das Jahr 2010 ging ein “Schleimpilz” durch die Nachrichten, weil seine Kolonien in der Lage waren, Wege zwischen Nahrungsquellen zu optimieren. Ein schöner Artikel dazu ist bei Spektrum zu finden. Die Suche nach dem Ausweg aus einem Labyrinth ist in einem sehr anschaulichen Filmausschnitt von 3sat bei YouTube zu sehen. Diese beiden “Schleimpilzcomputer” sind zwar etwas anders, dennoch helfen sie, sich einen Biocomputer aus schwimmenden Bakterien oder gleitenden Biomotoren vorzustellen.
Quellenangabe:
- Originalartikel (Bezahlschranke): Libberton et al., Phys. Rev. E 99, 012408 (2019)
Bildnachweis:
- Titelbild: Escherichia coli flagella TEM, Aufnahme: CDC (public domain)
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