Rennkrabben bauen ihre Tunnel im Sand klein genug, um einen katastrophalen Einsturz zu verhindern. Löcher in Kometenoberflächen sind groß genug, um mit dem Einsturz unterirdischer Hohlräume erklärt zu werden.
Wer schon einmal eine Sandburg gebaut hat, sammelte auch Erfahrungen zur Stabilität von Sandtunneln und Sandbrücken. Durch Zusatz von Wasser und durch Anpressen ändert sich die Eigenschaft des Sandes, auch die Korngröße spielt eine wichtige Rolle. Systematische Untersuchungen dazu gibt es aber bisher kaum. PhysikerInnen der Nagoya Universität🔗 in Japan machten nun einen Anfang. Ob Druck auf die Oberfläche einen unterirdischen Tunnel nur verkleinert oder katastrophal zusammenbrechen lässt, hängt vor allem von der Größe des Tunnels und der Sandkörner ab. Die Wassermenge und das Anpressen spielen nur eine kleine Rolle.
Sandkrabben
Physikerin Ayuko Shinoda suchte nach einem Studienprojekt an der Schnittstelle zur Biologie. Ihr Kollege Shin-ichi Fujiwara hatte zuvor mit Krabben gearbeitet und schlug vor, die Stabilität ihrer Sandhöhlen experimentell zu untersuchen. Die am Indischen und Pazifischen Ozean heimischen Rennkrabben (Ocypode) gibt es auch an japanischen Küsten. Dort heißen sie Sunagani (Sandkrabben) oder auch Ghost crabs (Geisterkrabben). Sie bauen relativ dauerhafte Tunnel im feuchten Sand oberhalb der Wasserlinie und schützen sich dort tagsüber vor der Hitze und vor Räubern. Ihre Höhlen verlassen sie nur in der Nacht, um Nahrung zu suchen. Ins Wasser gehen sie selten, deshalb tragen sie um ihre Kiemen einen Wasservorrat mit sich herum, aus dem sie den notwendigen Sauerstoff filtern. Die intensive Benutzung der Strände durch Menschen, insbesondere das Befahren mit Allradfahrzeugen, bedroht die Tunnel der Tiere so weit, dass die Zahl der Höhleneingänge als Maß für die Gesundheit eines Strandökosystems verwendet wird.
Kometen
Hiroaki Katsuragi🔗 ist der Betreuer der Arbeit und Experte für Granulare Materie, also für Materialien wie Puder, Sand oder Geröll. Bei seinem Besuch in Braunschweig experimentierte er an Staubkollisionen im freien Fall zusammen mit Spezialisten für Himmelskörper des Sonnensystems. In den Gesprächen mit den Kollegen fiel ihm der Zusammenhang zwischen Krabbentunneln und Beobachtungen an Kometenoberflächen auf.
Wenn ein Komet auf seiner Bahn in Sonnennähe kommt, vergasen Teile des festen Kometenkerns. Sie reißen Staubteilchen mit sich und bilden so den langen, weit sichtbaren Schweif. Als sich im Herbst 2014 die Raumsonde Rosetta nach zehnjährigem Flug dem Kometen “67P/Tschurjumow-Gerassimenko” auf wenige Kilometer näherte, vermaßen die Bordinstrumente den Himmelskörper, analysierten seine chemische Zusammensetzung, kartografierten und fotografierten ihn. Dabei fielen kreisrunde Vertiefungen in der Oberfläche auf. Fünfzig bis dreihundert Meter Durchmesser und bis zu zweihundert Meter tief beeindrucken sie vor allem durch ihre Ähnlichkeit in Form und Größe. Aufgrund des Aufbaus und der Anzahl war schnell klar, dass es sich nicht um Einschlagkrater handeln konnte. Rosettas Bilder zeigen, dass die Ausgasungen aus den Vertiefungen strömen. Daher schlug ein paar Monate nach der Entdeckung ein internationales Forscherteam zusammenbrechende unterirdische Hohlräume als Ursache der Senken vor.
Künstliche Tunnel im Sand
Die ForscherInnen an der Nagoya Universität vergruben einen Zylinder im Sand, zogen ihn im Anschluss heraus und bauten so einen künstlichen Tunnel. Dann drückten sie langsam von oben auf den “Strand” und beobachteten dabei den Tunnelquerschnitt. Kleine Tunnel und jene in besonders feinem Sand werden mit zunehmendem Druck einfach immer kleiner. Sind die Sandkörner oder der Tunnelquerschnitt aber zu groß, kommt es zusätzlich zu einem plötzlichen Einsturz eines Teils der Wände. Im Extremfall bricht sogar die gesamte Decke über dem Tunnel zusammen und es entsteht eine Vertiefung an der Oberfläche darüber. Von den Krabben wird der Katastrophenfall vermieden: die am Strand beobachteten Tunnel sind immer klein genug, das heißt sie werden bei Druck kontinuierlich kleiner oder die Wand bricht nur teilweise ein. Die kreisrunden Löcher auf dem Kometen sind alle größer als fünfzig Meter. Da kleine Hohlräume beim Zusammenbruch an der Oberfläche keine Spuren hinterlassen, hat man ein hier weiteres Indiz für den Zusammenbruch innerer Hohlräume als Ursache für die Löcher.
Neben dem Verständnis der Umwelt im Allgemeinen haben die Ergebnisse einen weiteren Aspekt. Sie könnten dabei helfen, das Auftreten irdischer Erdlöcher vorherzusagen oder gar zu verhindern. Allerdings sind die hier beschriebenen Versuche die ersten ihrer Art und daher noch relativ einfach gestaltet. So haben zum Beispiel die verwendeten Sände zwar verschiedene Korngrößen, es sind aber immer gleichförmige Kugeln aus Quarz. Ob die Schlussfolgerungen also bei weniger simplen Sandarten auch zutreffen, bleibt zunächst offen.
©Niko Komin (Follow @kokemikal)
Passender Artikel: „Planetenentstehung im Fallturm“ vom 6.12.2018
Quellenangabe:
- Originalartikel (CC BY 4.0): Shinoda et al., Scientific Reports (2018)
- über die Löcher im Kometen (Bezahlschranke): Vincent et al., Nature 2015
- Tunnelformen der Ghost crabs (Bezahlschranke): Seike & Nara, Palaeogeography, Palaeoclimatology, Palaeoecology, 2007
Bildnachweis:
- Titelbild: 67P/Churyumov–Gerasimenko (CC BY-SA IGO 3.0) von ESA/Rosetta/NAVCAM und Ghost Crab von Rushenb (CC BY-SA 3.0)
- Abbildung Experiment aus Originalartikel
- Tunnelformen nach Seike & Nara, Palaeogeography, Palaeoclimatology, Palaeoecology, 2007, Illustration von Niko Komin
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